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D o c u m e n t a 1 1

D o c u m e n t a  1 1

 

D e r  Ö s t e r r e i c h i s c h e  B e i t r a g

 

Bus of Love

 

Befreiung in Amstetten

 

Picknick in Walhalla

 

Anarchistischer Arm

 

Hiroshima reversibel

 

Amberchambermobilehome

 

Schrein der Liebe

 

Das Prinzip "Schwingtür"

 

 

 

 

 

 

 

 

Anläßlich der Plattform1 "Unrealisierte Demokratie" (oder auch "Demokratie als unvollendeter Prozess") findet die Vorstellung des "Bus of Love" den Gefallen des Leiters der Documenta11 Okwui Enwezor. Er winkt den Konzeptionisten, den fünf Larries (Larry=Handanleger) zu und lädt sie damit wahrscheinlich zur Documenta11 ein.  

 

Ein Autobus, der "Bus der Liebe", fährt von Wien (oder einer anderen Stadt) nach Kassel zur Documenta11. Auf Grund des großen Interesses kommt es zu einer Vorauswahl: Liz, Marijana, Danuta, Larry, Larry, Larry, Larry, Larry, Ute Meta Bauer, Galeristen und Galeristinnen, Journalisten und Journalistinnen, Referenten und Referentinnen, Kuratoren und Kuratorinnen, Kunstsinnige.

 

Ein Jahr zuvor wurde nach einem überraschenden Besuch der Larries beim Kasseler Oberbürgermeister Lewandovski der Platz vor dem Fridericianum für einen internationalen Konzern angemietet. Damit stand das Rasenstück nicht mehr zur freien Verfügung der Documenta11. Der Oberbürgermeister hatte einen verständlichen, aber schweren Fehler begangen (fünf Jahre bis zur Wiederkehr der Großveranstaltung sind schließlich eine lange Zeit), weil er die herannahende Documenta11 völlig vergessen und einer zeitliche begrenzten Vermietung zugesagt hatte.

Kassel kämpfte zur gleichen Zeit auch mit ganz anderen Problemen:

Der Waschbärenplage und der Offenbarung des Kannibalen.

 

Damit begann ganz im Sinne Okwui Enwezor´s und seiner Programmatik ein diskursiver, nicht aufzuhalten wollender Prozess.

 

 

 

Die Welt der Igbo in Nigeria, das Land, aus dem Okwui Enwezor stammt, ist ein Schauplatz der Wechselspiele von Kräften, eine dynamische Welt, geprägt von Bewegung und Wandel. Um es kurz zu machen:

Kraft existiert laut einem gängigen nigerianischen Sprichwort in verschiedenen Ausprägungen - "Ike di na awaja na awaja"

In manchen Kulturen ist es möglich, eine einzelne Gottheit aus dem Pantheon anzubeten und alle übrigen zu vernachlässigen. In der Religion der Igbo ist solch ein selektives Vorgehen undenkbar. Alle Menschen müssen danach trachten, zu jeder Zeit alle Götter zu besänftigen.

 

Was die Kunst der Igbo betrifft, so steht der nach außen gerichteten, sozialen und energischen Qualität durchaus auch das Streben nach kontemplativer Privatheit zur Seite. Das Igbo-Wort nka, das dem deutschen Wort Kunst am nächsten kommt, existiert in folgender Redewendung: "Onye nakwa nka na-eme ka ona-adu ire" und besagt, daß "ein Künstler, der gerade arbeitet, zu einer unfreundlichen Miene neigt".

Ist die Kunst jedoch einmal vollendet, so tritt sie aus dem Privaten heraus und in den Bereich des Öffentlichen. Außer persönlichen rituellen Gegenständen existieren aber keine Privatsammlungen bei den Igbo. Tatsächlich würde das Konzept einer Sammlung der künstlerischen Intention der Igbo diametral gegenüberstehen.

Es liegt im Wesen von Sammlungen, daß sie die Kreativität mit rigiden künstlerischen Haltungen und Konventionen konfrontieren, gegen die sich das Empfinden der Igbo wehrt. Die Tatsache, daß die mühe- und hingebungsvoll gestalteten Mbari-Häuser mit all ihren Kunstobjekten unbeachtet verfallen, sobald sie mit der Errichtung ihren primären Zweck erfüllt haben, ist bezeichnend für die Vorstellung der Igbo, daß nicht das Ergebnis (Produkt), sondern der Ablauf (Prozeß) ästhetisch von Bedeutung ist. Bewegung äußert sich in einem Vorgang, währenddessen das Ergebnis ruht. Sobald das Produkt vor dem Verfall bewahrt oder gar verehrt wird, gefährdet dies den Impuls, den künstlerischen Prozess zu wiederholen. Aus diesem Grund ziehen es die Igbo vor, das Produkt zu beseitigen und statt dessen den Prozess zu bewahren.

Dieser gedankliche Anstoß aus der Heimat Okwui Enwezor´s verschmolz mit unserer Vorstellung von Überwindung von Eigentum und wir formulierten unser Haupt-Konzept: "Sägung von Saloon-Schwingtüren in die fünf Doppeltore des Fridericianums"

 

 

 

 

 

Interessanterweise stießen wir damit von Anfang an auf keine allzugroße Gegenliebe und es schien, als wäre der Documentaleiter selbst nicht wirklich begeistert. Oberbürgermeister Lewandovski hatte uns zwar für die Dauer der Documenta den Fridericianumsplatz vermietet, doch von den Saloonschwingtüren wollte er absolut nichts wissen.

Obwohl man im Dokumenta-Büro sehr zuvorkommend gewesen war und uns mit Fotos, Maßen und Aufbau der Doppeltüren versorgt hatte (Dank an H.P.Müller), damit wir die genauen Dimensionen und die Wahl der Mittel bestimmen könnten, wollte man sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, die heilige Halle der Kunst nicht versperren oder über die Nacht nicht schützen zu können. Wir beschlossen daher, nicht schon bei unserem ersten location-viewing auf´s Ganze zu gehen und den Diskurs, wie weit das Konzept Okwui Enwezor´s nun wirklich dem Prozessualen geöffnet sei, in den "Bus der Liebe", in die besucherunterstützte, fahrende Kunstaktion zu verlagern.

 

 

Bus der Liebe / Bus of Love

 

... ist ein Regime der Subjektivität ein Ensemble verschiedener Möglichkeiten, Gleichzeitigkeit zu leben, zu repräsentieren und zu erfahren und diese Erfahrung zugleich in Mentalität, das Verständnis und die Sprache historischer Zeit einzuordnen (qua Achille Mbembe und Janet Roitman, "Figures of the Subject in Times of Crisis")

 

Im bunt dekorierten Bus der Liebe als fahrendem, sich quer durch die historische Zeit bewegenden postkolonialistischen Raum, der die "erschreckende Nähe der Ferne" weder kuratiert, noch kuratierend eingreift, im Reisebus als diskursivem Modell der Bewegung sehen die Handanleger (oder Handlanger) weniger ein Modell kuratorialer Sinngebung, als ein Bordell, schlichtweg ein Boudoir der Lüste in einem hochtechnisierten Raumüberwinder mit Telligent Motorsystem (ãMercedes Benz).

 

Der postkoloniale Raum ist jener Ort, wo experimentelle Kulturen Modalitäten artikulieren, die die neuen sinn- und erinnerungsstiftenden Systeme der Spätmoderne definieren, in dem Wissenseinheiten ihre Vorträge vernetzen, in dem diskursive Kreolisation die Herausbildung einer Weltkultur schon im Inneren des Bordelles exekutiert, und in dem KuratorInnen in die Sexualproduktion rekonzeptualisiert werden, indem die neuentstandenen Netzwerke in den Raststätten (vgl. Autohof & Raststätte: Verharren und Warten auf die verloren gegangene Seele, Public Culture Bd.VII, Nr.2, Bergheim 1998) nach außen abgegeben und verteilt werden können.

 

Die Fahrt des Busses nach Kassel ließe sich laut Okwui Enwezor als Akkumulation von Passagen lesen, als eine Kollektion von Augenblicken, von verstrichener Zeit (?), die zu Räumen wird (?), welche die endlose Verknüpfung von Welten, Perspektiven, Modellen, Gegenmodellen und Denkweisen, die das künstlerische Subjekt konstituieren, für eine betrachtende Öffentlichkeit wieder beleben.

Sämtliche Zeit-ungen von Wien oder einer anderen Stadt bis zur Kunstmetropole werden während der Reise gekauft und im Bus der Liebe zur Verfügung gestellt. Vielleicht ist es das, was Okwui meint, wenn er von verstrichener Zeit spricht, die zu Räumen werden soll (!). Verstrichene Zeit, die zu Räumen werden soll, verwandelt sich so zu verstrichenen Räumen, die zu verorteten Zeit-ungen werden, die in der öffentlich bekannten Zeit mitgenommen werden, um den Heimatverlust zu legitimieren.

 

Das Reisen wird aber auch von jeher als Heimatverlust definiert, wo kollabierende Räume sich ständig mit weiteren kollabierenden Räumen ablösen.

Mit dem gleichzeitigen Abspielen von vier Videos während der Hin- und Rückreise nach Kassel wirken die Handlanger der kapitalistischen Verortung der Landkarte entgegen und starten erste alltagstaugliche, zeitdilatierende Prozesse:

 

a. Video vorproduziert, von der Fahrt nach Kassel E6 in Echtzeit, in Fahrtrichtung

    gezeigt

b. Video live, aus dem Fondfenster des Busses, in Fahrtrichtung gezeigt

c. Video vorproduziert, von der Rückreise, in Fahrtrichtung gezeigt

d. Video live von der Fahrt nach Kassel in Fahrtrichtung (bei der Rückfahrt 

    vorproduziert) gezeigt

 

Jeder aufrichtige Reisende trägt in seinem Herzen jedoch ein Stück Heimat mit sich (das Video e. in persönlicher Zeit). Der Tirolerhut tut mir so gut ist also keine leere Phrase, sondern der selbst der von Negri und Hardt geforderten Multitude inneliegende Wesenszug, um dem Trauma kollabierender Räume zu begegnen.

Der Tirolerhut faßt die Stirn mit der hegemonialen Strenge eines epistemologischen Schweißbandes und verleiht Sicherheit in der dialektischen Interaktion mit heterogenen, transnationalen Publikumskreisen.

 

Ground Zero, Ergebnis der Minimalforderung der Kolonisierten, Ziel eines transnationalen fundamantalislamistischen Projektes schockiert nicht so sehr durch den plötzlichen Wegfall einer optisch gewohnten Hausstruktur, als durch das durch den Zusammensturz hervortretende Wesen des World Trade Centers:

Der bis dato nicht sichtbaren Bundeslade.

Wenn die Hülle stirbt, kommt das Wesen zum Vorschein. Der Verlust von Deckung schmerzt mehr als die gern beschworene Grabessymbolik oder der befreiende Gestus der Tabula rasa.      

 

Anstatt jedes Land der Erde nun mit seinem eigenen, ebenerdigen WTC-Bungalow, mit einer kostengünstigen Schnitte des alten WTC zu versorgen, wird die entstandene Lücke sofort mit einem noch höheren Bauwerk von Daniel Libeskind gefüllt, damit es erneut ein leicht zu treffendes, taktisches Ziel wird / bleibt.    

 

Wenn die Bundeslade das Geheimnis der Juden, die Kaaba das Geheimnis der Muslime ist, so ist das Bernsteinzimmer das Geheimnis der Deutschen (und die "Kristallwelten" das den Österreichern verordnete Geheimnis von André).    

 

Geheimnis bleibt aber nur Geheimnis, wenn es eines bleibt. Darum ist Ground Zero kein Geheimnis mehr, wenn es erneut bebaut wird, sondern pathologische Vergangenheitsbewältigung.  

 

 

 

 

 

 

Amberchambermobilehome

 

Wenn Ground Zero die Leere repräsentiert, von der aus die Peripherie ins Zentrum vorgedrungen ist, um die wesentlichen ideologischen Differenzen des globalen Wandels zu rekonzeptualisieren (qua Enwezor), so ist das Amberchambermobilehome nichts als die bewegliche Fülle, die aus dem beständigen, bestehenden Geheimnis der Unauffindbarkeit heraus maneuvriert wird, um die wesentlichen diskursiven Differenzen im Subjekt zu individualisieren und zu vermarkten.

 

Die Handlanger bewegen das Amberchambermobilehome ja gerade deswegen von Ort zu Ort, um jener bereits erwähnten pathologischen und pathogenen Vergangenheits-bewältigung zu entgehen, die auf Ground Zero stattfindet.

Das Bernsteinzimmer der Deutschen mutiert durch ständige Verrückung zum Amberchambermobilehome.

Das metaphorische Verrücken und Bewegen der gelben Box, des Elektrums, kann als mantische Technik interpretiert werden, die wir von nun an als “Discursomantie” apostrophieren.

 

 

 

 

 

Der oder die Kuratorin versuchen die Box zu berühren, um sie aufzubrechen oder nachzuschauen, ob sich unter der Box vielleicht ein Zettel mit einer Botschaft verbirgt. Das schnelle, dem Werfen der Wahrsageknochen ähnelnde Oszillieren des nicht fassbaren Amberchambermobilehomes macht das Begehren aber zunichte und die KuratorInnen müssen weiter mit dem Geheimnis leben.

Damit verlagert sich das Geheimnis in die Kunstmarkttheoretiker und verankert die Xeno-Aura des Wohnwagens in die sich zwangsläufig dislozierenden Gehälter.

 

So wird das Geheimnis zu einem ruhenden Mehrwert, den die Verwandlungskünstler in sich tragen, ob sie wollen oder nicht, und der bei Bedarf xeno-epistemisch aktiviert werden kann (Sarat Maharaj, Xeno-Epistemics - Ein provisorischer Werkzeugkasten zur Sondierung der Wissensproduktion in der Kunst und des Retinalen).

Beide Verwandlungen, die durch kalte Strategie religiöser Instrumentarien entstandene Leere und Geheimnislosigkeit des Ground Zero und das durch warmen Druck entstandene Brennharz der Fülle des Bernsteinzimmers und der Wunsch, das Geheimnis zu lüften, sind zwar disparat, aber letztlich doch miteinander verknüpfte Prozesse bzw. Aktionen. Ähnlich elementar verhält es sich mit der

 

 

Befreiung in Amstetten

 

...Die bezaubernde Genie, der dienstbare Geist in der Flasche, der Dschinn, erfüllt Wünsche, wenn man die Flasche reibt... (Marijana, Reisebegleiterin / Buscoach)

 

Im Bus der Liebe ist ein Safe eingebaut, der nichts anderes als eine kleine Phiole enthält, daraus ein Geist befreit werden will. Aus diesem Grund kommt es nach dem kurzen Abstecher nach St.Thomas am Blasenstein und dem Besuch der “Buglwehluka” und dem Heimkehrerkreuz, der wirklichen rhizomatischen Stammkneipe (vgl. Rhizomatische Gegenepistemik; Sarat Maharaj) zum ersten performativen Höhepunkt am Hauptplatz vom Amstetten.

 

Bevor wir jedoch die Phiole öffnen und den Geist entlassen können, muß der Entlassungswerte erst definiert werden. Ute Meta Bauer hatte schon seit der Fahrt nach St. Thomas nicht mehr gesprochen, die Phiole und das Parfum Helmut Langs, welches als offenes Bekenntnis zu seiner Homosexualität diskutiert wurde, war für sie weniger eine intermittierende Duftinstallation, dessen odorische Kraft durch den banalen Akt des Dosenöffnens wieder zum Leben erweckt und entfaltet werden würde, als eine simple Marktstrategie Boubou´s: Mann / Frau konnte das sündteure Parfum, das Symbol der Liebe, nur im Flagshipstore in New York kaufen...

 

Zu ortsgebunden, befinden die Handanleger !

 

Daß ausgerechnet Amstetten für die Befreiung des Helmut Lang Parfums in Frage kam, hatte mit der Lage der Heimatstadt des großen österreichischen Modemachers an drei extrem in die Länge gezogenen Autobahnzu- und abfahrten zu tun, den längsten die langgezogenste Bezirksstadt Mitteleuropas definierenden Abfahrten am Weg nach Kassel.

 

Diese architektonische Vision städteplanerischer Besonderheit vor der Wetterscheide Strengberg offenbart mit dem in diesem Bereich verwendeten, anthrazitgrauen Flüsterbeton eine seltsame Diskrepanz:

eine Zeitdauer von eigentlich mehreren Städten lang an einer einzigen Kleinstadt vorbei- oder ins Ewigsilbrige hineinzurasen, eine Dynamik der Größenverhältnisse, die so nicht stimmen können, die Nähe zu Neuhofen, der Geburststätte Ostarrichis, dessen Größenverhältnisse stets in historischen Tumulten untergegangen sind. Die zwischen diesen Polen entstehende Reibung nutzen die Handlanger um die Flasche zu öffnen:

Die Liebe solle sich in die Länge ziehen...

(unser besonderer Dank geht an die Strassenmeisterei in Amstetten, die uns einen Riesenventilator zur Verfügung gestellt hat, mit dem das Parfum entlassen und in Fahrtrichtung Wien zu den drei Autobahnzufahrten Amstettens geblasen werden konnte). Das sympathetische Aufsuchen des Blasensteins als paratraumale Protuberanz eine Stunde vorher, versetzte die Reiseteilnehmer erst in die Lage, das Potential der Bezirksstadt einschätzen zu können. Wie von selbst ergaben sich Gleichzeitigkeiten, Meta-Ebenen wie die goldenen Birnenskulpturen im postpostgutenbergbergischen Alltag. Die aktuelle Diskussion über Umgebungsgeräusche und Noise dreht sich immer noch darum, was das eigentlich ist. Ist es eine Art Urschleim der Sound-Ökonomie ? Sarat Maharaj vergißt dabei jedoch das Wesentliche, das Element des Duftes, des Begleitmusikers der Liebe.

 

Im Bus of Love fühlten wir uns einerseits erleichtert, das schon, weil wir Liebe an einer Transversale emaniert und den Reichtum Richtung Osten abgegeben, der mitreissenden Kraft von Straßenverkehrsteilnehmern übergegeben hatten, und wir fühlten uns aber auch ärmer, weil wir zweitausend Dollar in den Wind, in den Himmel über Amstetten gesetzt hatten. Zur gleichen Zeit stirbt ein Amstettener Lehrbub bei der Loveparade in Berlin.....! War das Ganze eine pulsierende, permanent neu konfigurierende Vernetzung von nichttotalisierbaren Verschiedenheiten..?

 

 

Die Reiseteilnehmer führten einen furchtbaren, nicht dokumentierten Diskurs bis nach Regensburg, wo in Walhalla ein Picknick mit Deutschen geplant war.

Picknick in Walhalla

 

Der schwierigste Programmpunkt der Reise ist zweifelsohne das Treffen mit Deutschen in Walhalla am Bräuberg bei Donaustauf. Im Frühjahr 1807, als Napoleon Preußen niedergeworfen hatte, faßte der zwanzigjährige Kronprinz Ludwig von Bayern den Plan, die Bildnisse der “rühmlich ausgezeichneten Teutschen” in einem Ehrentempel des Vaterlandes zu vereinen:

 

...groß muß es werden, nicht bloß kolossal im Raum. Größe muß in der Bauart sein, hohe Einfachheit, verbunden mit Pracht, spreche sein Ganzes aus, würdig werdend dem Zwecke...!

 

Lange schon hatte der Prinz nach dem richtigen Platz Ausschau gehalten. 1808 dachte er noch an den Englischen Garten in München, 1826 aber fiel seine Wahl auf

Donaustauf.

Am 18. Oktober, dem 17. Jahrestag der Völkerschlacht zu Leipzig wurde feierlich der Grundstein gelegt. Ein Festredner betonte, daß in den zweitausend Jahrtausenden teutscher Geschichte den großen Männern nie ein Denkmal gesetzt worden sei.

Es blieb schließlich König Ludwig vorbehalten, der von früher Jugend an für des gemeinsamen Vaterlandes Wohl und Ehre glühte.

 

 

 

Bis zur Vollendung vergingen noch weitere zwölf Jahre. Am 18. Oktober 1842 fand die Eröffnung statt. Damals betrug die Zahl der durch Aufnahme in die Walhalla Verherrlichten 160 (96 Büsten und 64 Inschrifttafeln).

 

Der bereits 1807 von Johannes v. Müller vorgeschlagene Name “Walhalla” blieb beibehalten. Walhalla bezeichnet in der germanischen Mythologie den Wohnort der Götter, in den die von den Walküren erwählten Krieger eingehen. König Ludwig verfügte, daß im Weihetempel alle Frauen und Männer, die in Friedens- und Kriegszeiten Bedeutendes geleistet hatten, eine Gedächtnisstätte erhalten.

 

Heute ist Walhalla Eigentum des Freistaates Bayern. In Abständen von 5-8 Jahren (seit 1962) werden Büsten verdienter Deutscher in die Walhalla aufgenommen. Über eine Aufnahme entscheidet der Bayrische Ministerrat. Heute sind insgesamt 187 Namen im Ruhmestempel über der Donau verzeichnet. Von den Auserwählten werden Büsten aus Carraramarmor nach authentischen Abbildungen und Vorlagen angefertigt.

 

Aufnahmeverfahren

 

1. Die Initiative geht von privater und nicht von staatlicher Seite aus.

2. Die Aufstellung der Büste setzt voraus, daß seit dem Tod der Person 20 Jahre

    vergangen sind.

 

 

 

3. Die Kosten für die Anfertigung und Aufstellung einer Büste betragen (zB bei Albert

    Einstein; 23.5.1990) ca. 50.000.- DM. Sie sind vom Antragsteller zu übernehmen.

4. Die Akademie der Wissenschaften stellt fest, welche Persönlichkeiten aus

    Wissenschaft, Kunst, Größen mit aussergewöhnlichen sozialen bzw. caritativen

    Verdiensten Vorbildfunktion haben.

 

Nachdem die Handanleger alle Reiseteilnehmer mit kleinen Fläschen “Walhalla-Geist” (nach Dr.Phil.nat.W.Strathmeyer) versorgt und darauf bestanden hatten, daß diese geöffnet und auch in einem einzigen Zug runtergekippt würden, meinte Ecke Bonk, der uns bereits erwartet und die Stufen des Tempels zu uns herabgestiegen war, daß jedes Mal, wenn ein anderer Faktor hinzukommt - und wir waren uns nicht im Klaren, ob er damit Deutsche meinte oder nicht - sich die Gesamtform der Vernetzung verändere.

Der Faktor verkörpere die Idee der Demokratie als eines veränderlichen, nicht in Zahlen erfassbaren, ja sogar unrealisierbaren Konstruktes, statt als Herrschaft der algebraischen Mehrheit, als Aufsummierung von Wählerstimmen, die repräsentiert werden müssen.

Ecke machte es den Reisenden nicht gerade leicht.

Wie konnte er von Demokratie als unrealisierbarem Konstrukt sprechen, daß sich bilde, auskristallisiere und gleich wieder verflüchtige, womit seine Behauptung obsolet und nichtig wurde, da es epistemologisch nutzlos ist, zu behaupten, daß etwas unrealisierbar wäre, wenn es auftauche, verschwinde und wieder auftauchte, wo wir doch vor einem aus hehren demokratischen Gedanken geformten Bauwerk standen, in dem besondere Leistungen zu Büsten aus Marmor erstarrt waren, weil die prozessuale Darstellung des Auswahlverfahrens eine Aufstellung der Büsten vor Ort erforderlich machte und die Leute schließlich tot waren. Sicher, eine aneinanderreihende Aufstellung von Deutschen, von in gleissend weißem Marmor gemeißelten Deutschen stünde vielleicht im Widerspruch zu einer Ethik-Epistemik der Differenz, wie Mark Nash meinte.

 

Das Picknick wollte nicht so recht in Gang kommen, lag es am Ort oder an den bedeutungschwangeren Diskussionen, es war schwer zu sagen. Die Tatsache, daß es den Deutschen wohl wirklich ermangelte, geehrt zu werden, wurde dabei völlig übersehen. Wozu hätte man denn sonst von uns verlangt, den Geist zu trinken ?

Da springt die Parapolylogik der Xeno-Epistemik an, meint Sarat Maharaj und gibt uns den Rest. Sollten sich Deutsche wie in Autositzen eingenähte Mexikaner tarnen, die illegal nach Califorien einreisen wollen, nur um zum permanent bekennenden Volk zu mutieren ? Läge es nicht näher, im deutschen Himmel zu picknicken und die Deutschen bei Lied- und Grillgut näher kennenlernen zu wollen ! Obwohl es keine Lieder mehr gab.

Aber vielleicht war es nur eine Frage des Timings.

 

 

 

 

 

Die Weiterfahrt nach Kassel durch die Rhön ist vom Diskurs geprägt. Nach Bad Kissingen jedoch kommt es sexuellen Kontakten zwischen Kuratorinnen und Galeristen und Galeristinnen. Das Liebesprogramm erfüllt sich quasi von selbst. Der Walhallageist geht langsam in eine prophetisch-paranoide Medienbetrachtung des Anarchistischen Armes über, der in zunehmenden Maße die Schwänze und Muschis der Mitfahrenden betreut.

 

Selffulfilling Prophecy ist eine jener aus der paranoiden Medienbetrachtung entnommene Technik der Zeitdilatation, der wir auf der Fahrt, in Kassel und wieder in Wien begegnen, der Taumel der Lüste im fahrenden Kunstbordell verhindert vorerst eine genaue Kenntnisnahme einer präsumptiv postklimatoiden Epoche.

 

 

 

Anarchistischer Arm

 

Das wenig beachtete medizinische Krankheitsbild des “Anarchistischen Armes” zeigt ein Problem der Unkontrollierbarkeit. Das zunächst nicht wahrnehmbare Ganze der Documenta11, das sich ähnlich einem Rhizom verästelnd mittels Installation, Film, Sound, Text, Vortrag, Diskussion und so weiter (qua Ute Meta Bauer) und als Gefüge von Austauschformaten, eine mannigfaltige Konnexion, eine Vielheit und Multiplicité betont, gerät gerade durch das nach Gilles Deleuze von Michel Foucault errichtete Postulat korrelierender, korrelativer, komplementärer und letztlich kollabierender Räume in den Würgegriff des Anarchistischen Armes.

 

Die nicht endenwollende nichtdiskursive Formation der Documenta im diskursiven Feld wünscht, ja fordert sogar eine über das Ende der Plattform 5 hinausgehende produktive Diskontinuität, diese Forderung bleibt jedoch ungehört, wenn der unvollendete Prozess der Demokratie beendet werden würde und so bleibt die Erkenntnis, daß vollendete Demokratie die Wissenproduktion der Plattformen auflöst.

Der Anarchistische Arm ragt jedoch aus diesem Postulat wie das Springmesser Gottes in die verdammten, in die verdammt gesegneten Niederungen der Kunstdokumentation. Und die schönsten Pläne sind vernichtet, wenn man mitten in der Nacht feststellt,

 

daß man vom eigenen Arm gewürgt und mit dem Tod bedroht wird. Die Handlanger deuten das Prinzip des Anarchistischen Armes einerseits anhand des Gesellschafts-körpers, der die Kontrolle weitgehend verloren hat oder haben möchte, andererseits aber auch als Moment erhabener Schönheit und Offenbarung, da der zufällige Moment des Kontrollverlustes sich als Vorstufe der Ekstase generiert und die Drehtüre zu parallelen Zeitdomänen in Rotation versetzt.

Bevor x³ sich aber Gräten in den Schlund stopft, obwohl x² es gar nicht will, muß die Zeit sofort umgekehrt werden. Da hilft auch die Liebe nicht, ist man sich im Bus einig.      

 

Umkehrbarkeit

 

Wenn das Gesetz der Zeitdilatation besagt, daß Zeit dehnbar ist, und nicht immer und überall gleich schnell abläuft, dann können Ereignisse auch umgekehrt werden. Die Handlanger diskutieren diese Form der Romantik von Hanau bis kurz vor Kassel und nehmen Wünsche entgegen. Der Wunsch nach einem Reversiblen Hiroshima setzt sich allgemein durch.

 

Anhand des gewünschten Beispiels wird folgendes Experiment in Paris angeordnet:

 

a. Auslegen von hundert bis zweihundert A4 Blatt Papier im kleinstmöglichen Quader

b. Positionierung von ebensovielen Einbeinstativen samt Kameras mit 300mm-

    Objektiven jeweils einem A4 Blatt zugeordnet

c. Zuordnung von ebenso vielen Fotografen zu den Kameras auf den A4 Blättern

d. Strikte Anordnung an Alle, dieselben Fotos einer einzigen Haute-Couture Show zu

    blitzen / zu schießen.

e. Hiroshima wird durch alle 300mm-Objektive gleichzeitig vervielfältigrückerstattet.

    Das Bild der tausend Bilder wird eingezogen, eingesogen und dadurch zu einem

    einzigen retinalen Abbild verschmolzen, die geeinten Brennstäbe durch die Linsen

    hochgefahren. Dann werden die Filme aus dem Kameras genommen und

    unentwickelt in den Mistkübel geworfen. Die atomare Kettenreaktion reversiert sich im   

    nunmehr unbelichtbaren Raum und die Röntgenschatten springen von den 100.000

    verglühten Seelen. Die Overalls, die Hautfetzen der Zerschüttelung werden

    abgestreift und die Seelen wiederhergestellt, rekomponiert und eingeölt.

    Dann können sie Hiroshima und Nagasaki endgültig verlassen.

f.  Die Harlekine der Haute-Couture tanzen weiter und verneigen sich am Ende der

    Show, als wäre nichts geschehen.

g. Das Unbemerkbare ist der Beweis einer gelungenen Umkehr.

 

 

 

Reversibles Hiroshima

 

 

 

Das Prinzip Schwingtür

 

Bevor wir zum wichtigsten Moment der Kasselreise und zur Hauptattraktion des Österreichischen Documentabeitrages der fünf Handanleger gemäß dem Konzept des Prozessualen, des Nichtstatischen kommen, sei kurz über die Türe als weltenverbindendes und weltentrennendes Element erster, eigentumsbeschützender und klimaregelnder Ordnung referiert (wobei wir den Felllappen als weiche Urform des Garagenkipptores, die Hängewürsteltrenner slavischer Gebiete und div. Outdooreinstiegsformen nicht näher beleuchten).

Die Tür als "Anfang und Ende der allermeisten Architektur" (Larry Fortenski; PenguinBooks, N.Y. 1999) findet man in folgenden Formen:

 

Vertikal-Arretier-Drehregler:

Einfache Flügeltüren (links / rechtsgehängt)

Doppelflügeltüren

Tore

Doppeltore

Gatter

 

Horizontal-Arretier-Drehregler:

Kipptore

Garagentore

 

Horizontal-Arretier-Schieberegler:

Jalousiemechanismen

Mittigschließer (amerik.Transportlifte)

Rodeo-Fallöffner

 

Arretier-Schieberegler:

Automatische Türen (Lamellen / querguillotinierend)

Lifttüren

 

Rotationsregler:

Drehtüren (immanent-arretierend)

 

Schwingregler:

Semitransparente Hartplastik-Kälteschranken und  Saloonschwingtüren

Dreh-, Schiebe-, Lamellen-, Rotationsreglertüren haben 3 engumschriebene Aufgaben:

 

1. Eigentum zu schützen

2. Innenklima zu regulieren

3. Privatspäre zu garantieren

 

 

 

Einzig die Schwingregler und hier im Besonderen die Saloon-Schwingtüre haben Funktionen, die von den drei oben beschriebenen stark abweichen:

 

1. Überwindung des Eigentums

2. Dynamisierung des menschlichen Eintritts (segmentale Dynamisierung, Aussparung

    des Geschlechtlichen, Aussparung des Bewaffneten)

3. Dekonstruktion der Schutz-, Klima- und Privatsphären

4. Metronomisierte Alltagsakkustik (sound wreckage)

5. Symbol der Ewigkeit, des ewigen Ein- und Austretens

6. Nasenbrecherfunktion

7. Ungehinderter Kleintier- und Kindesverkehr

8. Sneaking

 

Die Saloon-Schwingtür ist zugegebenermaßen eine westliche, bei oberflächlicher Betrachtung imperialistische Türform. Nichts desto trotz hat sie die bemerkenswert revolutionären Eigenschaften eines eternalen Charakter. Auch wenn sie mit Hilfe einer Kette und Vorhangschloss versperrt werden würde, könnte man dennoch unter ihrer Unterkante hindurchkriechen.

Schieberegler-Türen sind das entwicklungsgeschichtliche Ergebnis von Furcht und sie haben abweisenden Character.

Der Schwingregler Saloonswingdoor dagegen lädt ein !

 

Ähnlich wie Boris Groys haben Kuratoren, die mit dem bewegten Bild arbeiten, hervorgehoben, daß die Einführung von Videoinstallationen im Ausstellungskontext eine Befreiung des Zuschauers von den Beschränkungen des traditionellen Kinos bedeute. Da es keine festen Plätze gibt, muß der Zuschauer seinen Blickwinkel (?) selbst bestimmen, ein Prozess, bei dem ihm seine eigene Aktivität als Betrachter bewusst wird

(vgl. Bewußtseinsverlust im dunklen Kokon des Kinoraumes).

 

Um das Fridericianum zu prozessualisieren, um die Besucher von der Rolle der Wartenden zu befreien, die durch Schranken aufgehalten und ihrer Bonität wegen überprüft werden, um die Kunst von der Ware zu trennen und sie unversicherbar zu machen, sprich, die Aufmerksamkeit der Betrachtung in die Aufmerksamkeit des Betrachters zu verlegen, weil ab nun jeder Einzelne für das Gesamte und den Verlust oder die Zerstörung des Ganzen verantwortlich und so Demokratie als vollendet zu betrachten ist, sägen die Handlanger Saloonschwingtüren aus den Doppeltüren des Kunsttempels. Die dadurch entstehende Wert-Angst ist das Equivalent zum Verfall der Mbari-Häuser der Igbo, die nach dem Schaffensprozeß verrotten, um eine permanente Kunstproduktion in Gang zu halten und sich nicht mit der Konservierung der Kunstwerke zu beschäftigen.

 

Somit transzendiert eine rein westliche Tür das Prozessuale der Igbo, da die Saloonswingdoor beide Begriffe gelten lassen kann: den Prozess und das Produkt.

 

Nachdem uns Okwui Enwezor an der Stadtgrenze abgeholt und wir im Triumphzug in die Stadt eingefahren sind, geleitete er uns in die Fulda-Auen, wo wir einen zweiten time-loop miterleben mußten. Die Saloonschwingtüren waren also bereits gesägt worden, uns blieb nur mehr die

“Phasische Prelingualisierung” der Fridericianumsfassade.

 

 

 

 

Friedrichs Friede wurde durch des

törichten Reiters Ritt den Fuchs los,

der, er, Eric und Rici, hier den CIA

an den Arsch Ian´s trat, um war

 

 

Nun konnten wir uns unserem letzten Vorhaben auf der Documenta11 widmen, dem  Shrine of Love

 

 

 

 

Mit dem Begriff des Schreines verbindet man eine kenntliche religiöse und animistische Reliquienstätte. Der Eintritt in den Schrein der Liebe verheißt die Erfüllung von Sehnsüchten und Wünschen.

 

Nach den Lagerfeuern der ersten Nacht, zu denen Oberbürgermeister Lewandovski die Documenta11künstler und -künstlerinnen, die Kuratorenteams der 5 Plattformen und alle Beteiligten, Interessierten und Bürger der Stadt Kassel eingeladen hatte, fuhren wir am Nachmittag des folgenden Tages im Convoi zum Herkules hinauf, um den Palast der Winde in einen Schrein der Liebe zu verwandeln.

Die Handlanger baten alle Anwesenden, den Raum mit einem Liebesritual vorzubereiten. Dazu sollte es genügen, die Hände auf die Schultern des Nachbarn zu legen und konzentrische Kreise, Spiralen und Netzwerke der Liebesproduktion zu bilden.

Sverker Sörlins provokante Frage, "ob Orte reisen können ?", beantworteten die Teilnehmer am Ritual durch ekstatisches Vorrücken, Rückrücken, längere Drehphasen vor und zurück und dann wieder plötzliche Stopps, die sogleich wieder von einem kurzen Anrucken überlagert wurden. Die traditionelle Technik des Drehens und sich Drehens transportiert Orte, Ortsvorstellungen, soviel steht fest, da auf diese Weise die Erddrehung angehalten und verortete "Placements" emotionalisiert werden können.

 

Millionen muslimischer Pilger tun nichts anderes, wenn sie linksdrehend um die Kaaba wandern und diese eindrehen oder ausdrehen (vgl. "Rechtsdrehung - Mechanischer Schweizer oder Planetarische Praxis ? / Anda Semany-Mukhia, Neu Dehli, 1927) und sie invozieren die Verortung Mohammeds aus den Lustgärten Allahs heraus in einen schwarzen Stein, eine Blackbox, um es mit Okwui Enwezor zu sagen, oder befreien den Inhalt Petri. Okwui und Ute fanden diese Form der Anbetung und des embeddings der Drehrichtung in spirituelle Aktivität bemerkenswert. Vielleicht sind die drehenden Kreise, die Spiralen und speziell die Andockmaneuver zwischen den Drehenden eine Anregung für Ute Meta Bauer gewesen, die Struktur der “hubs” der 3. Berlin Biennale, die sie später kuratieren wird, zu Grunde zu legen.

 

Wir beschließen, die spontane Weihe des Platzes zur eigentlichen Performance zu erklären und keine Reliquie mehr zu errichten. Dominique Gonzales-Foerster und Jef Geys verließen als erste den Liebestanz. Das war uns auch recht, weil die Eigenheit des Schreins der Liebe in der völligen Übereinstimmung (ohne Zufuhr von Stimulantien oder anderen persönlichen Betonungen mit gleichzeitig emblematischem Respekt vor der Geschichte der einzelnen Ritualteilnehmer) liegen sollte, und nicht in einer anekdotischen Präsenz des Formalen, für die die beiden Künstler standen. Halbautomatisch wurden sie in den Zentrifugen der Zuneigung mehr und mehr an die Ränder der lovecircles gepresst,ausgespült, geschieden, und sie entwischten letztlich unbemerkt durch die Löcher der Nierostatrommel der Gefühle.

Gonzales-Foerster liebt bekanntlich Fluchtpläne, von denen er Skizzen für Parks entwirft, die niemand braucht, und Jef Geys Anekdotensammlung, seine Aufzählungen und Notizen kamen so in den Würgegriff des Anarchistischen Armes, dessen Installation wir auch später nicht bereuen würden.       

 

Zwei weniger = zwei hoch zweitausend mehr

 

In der Ekstase, die einen starken Eingriff ins persönliche Zeitgefüge hervorruft, geht es darum, die individuellen Kleinstzeiten oder auch Keinstzeiten aufzudecken, von der Persönlichkeit abzuspalten, ohne den Kontakt zum Mutterland zu verlieren, um dann eine secundäre individuelle Parallelzeit zu entwickeln, in die sich alle anderen Individuen universalisieren können. Nach mehreren Stunden fielen die Liebesdiener und Tänzerinnen erschöpft, aber glücklich zu Boden. Da die Handlanger und Businsassen immer noch vom Zeitloop des Fulda-Camps affektiert waren, erklärten sie den Schrein der Liebe für eröffnet.

Dadurch war eine offizielle Eröffnung überflüssig und die mitgeführten Säcke voll internationaler Haare mußten nicht geöffnet und zur Liebesreliquie komponiert werden.

 

 

 

Die Haarmetapher sollte schließlich zum amicalen Schredder kolonialistischer Wertvorstellungen dieser Documenta11 werden und die Haare aller Rassen und Individuen ganz bewußt in einem kosmischen Tanz verschränken, bevor Geschichte nur mehr als debris, satellite-wreckage oder Hintergrundstrahlung übrigbliebe.

Der "Bus der Liebe" fährt also zur Documenta

 

 

Ó LARRY / Wien / 2004

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